Nein, ich habe mich im Titel nicht vertan, mir ist kein Chiasmus, keine kreuzweise Vertauschung unterlaufen. Ich möchte damit nur das Thema dieses Beitrags illustrieren. Die Verwendung sprichwörtlicher Redensarten ist fehleranfällig: Häufig kennen wir ihre historische oder sprachliche Herkunft nicht (mehr). Wer weiß schon noch, dass „jemandem die Stange halten“ aus dem mittelalterlichen Turnierreiten kommt, oder warum eine ungehörige Tat „unter aller Kanone“ sein kann. Die lateinische Herkunft „sub omni canone“, unterhalb jeglicher Richtschnur, ist vollkommen durch die Volksetymologie verdrängt worden (sie ist aber im modernen Euphemismus „suboptimal“ gleich „ziemlich bis sehr schlecht“ wiedergekehrt).
Ein Übriges tun bewusste Mischungen oder Kreuzungen unterschiedlicher Redensarten und Sprichwörter. „Wer den Schaden hat, der spottet jeder Beschreibung.“ („Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“ gekreuzt mit „Das spottet jeder Beschreibung.“) „Steter Tropfen ist aller Laster Anfang.“ („Steter Tropfen höhlt den Stein.“ X „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“) Ich überlasse es dem Leser, in der folgenden Mischung die zugrunde liegenden drei Redensarten herauszufinden: „Das schlägt dem Fass die Krone mitten ins Gesicht.“ Was in diesen Beispielen wohl in unserer Zeit aus Spaß einmal bewusst durcheinandergewürfelt wurde, kann ziemlich schnell allgemeiner Sprachgebrauch werden.
„Mit dem Zaunpfahl winken“ ist so eine spaßhafte Übertreibung. Sie scheint aber schon erklärungsbedürftig, denn auf einem Kalenderblatt wird ausgeführt, dass es sich um einen überdeutlichen Hinweis handelt. Ursprünglich gab man jemandem einen leisen Wink, damit es andere nicht merken. War man früher wirklich zarter? „Ja winken mit den Äugelein und treten auf den Fuß, sitzt eine in der Stube drin, die meine werden muss.“ Wer kennt denn noch dieses Volkslied? Wie hieß noch man gleich der Titel?
„Der alte Brauch wird nicht gebrochen, hier können Familien Kaffee kochen.“ reimte ein Berliner Ausflugslokal etwas holperig um die Jahrhundertwende (die vorletzte). In einer Werbezeitschrift, die wöchentlich unseren Briefkasten füllt, fand ich den abgewandelten Spruch als Werbung für ein Tanzlokal: „Der alte Brauch wird nicht geknickt, bei Regen wird im Saal getanzt.“ Das war ganz ernst gemeint. Der Schreiber wusste vermutlich nicht mehr, dass es sich um eine Verballhornung handelt. Ein Brauch wird nicht „geknickt“, es sei denn man möchte einen Reim provozieren, der durch „getanzt“ kaschiert wird.
Redensarten haben es an sich, dass man sie häufig als Textbausteine verwendet. Dann passiert es gar nicht so selten, dass sie unbewusst falsch gebraucht oder eingebettet werden. Als Schalke 04 in die Fußball Saison 2015 mit einer Niederlage gegen einen unterklassigen Verein startete, war das dem Hamburger Abendblatt folgende Nachricht auf der ersten Seite wert: „Die 1:3 Heimniederlage gegen Freiburg war der Tropfen auf den heißen Stein,“ der zur Entlassung des Trainers führte. Das zischt zwar schön, bedeutet aber, dass von etwas Notwendigem viel zu wenig da ist. Gemeint war hier sicherlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Bleiben wir bei Härtefällen. Zwischentitel in derselben Zeitung vom 19.1.11: „Das Gericht legt den Eigentümern harte Bandagen an.“ Ja, wenn man dem Kontrahenten vorher die Knochen bricht, ist das Anlegen von Bandagen fast schon eine Wiedergutmachung. Vermutlich haben aber beide Parteien „mit harten Bandagen gekämpft“, also ohne gepolsterte Boxhandschuhe, ohne Rücksichtnahme.
A propos Kämpfen. Ein „Kampf gegen Windmühlen“ (das Entfernen von Schrotträdern im öffentlichen Raum, HA 6.5.14) kann doch gar nicht so schwer sein, die stehen ruhig in der Landschaft. Gegen Windmühlenflügel sieht das schon anders aus. Da hatte Don Quijote Probleme, als er vergeblich gegen diese vermeintlichen Riesen kämpfte.
Auch Tennisspieler kämpfen – um den Sieg, und zwar mit Hilfe eines Tennisschlägers oder auch mehrerer. „Die besten Spieler der Welt gaben sich zwischen Hansa- und Hallerstraße die Schläger in die Hand.“ Was für eine faire und hanseatische Geste! Weniger sportliche Leute geben sich bei großem Andrang höchstens die Klinke in die Hand .
Aber auch für den politischen Gegner gibt es verquere Redewendungen: „Sollte es nach der [Hamburger] Wahl zu Rot-Grün kommen, werde der Korken platzen.“ Das wird dem kurzfristigen Ersten Bürgermeister Ahlhaus vom Abendblatt-Redakteur auf der Titel-Seite in den Mund gelegt (17.1.2011). Normalerweise „knallen die Korken“ (der Sektflaschen) bei Wahlsiegen. Platzen wird eher ein Knoten (oder durchschlagen, wenn es der gordische ist) und dann sieht man nach Verwirrungen eine klare Lösung. Die wird man dem politischen Gegner eher nicht zutrauen. In der später wörtlich zitierten Aussage, wird dann der Korken nur hochgehen, … um die teuflischen Grünen und Gewerkschaftsvertreter aus der Flasche zu lassen.
Der Norden ist rau, noch rauer ist das Teufelsmoor im Landkreis Osterholz (Niedersachsen). Deswegen war es „zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein blinder Fleck, erst seit 200 Jahren besiedelt“ (HA 28.1.2011). Ja, wenn Landkarten kucken könnten, könnten sie auch blind werden. Und wenn mir dieser Lapsus nicht aufgefallen wäre, hätte ich einen blinden Fleck im Auge. Ich nehme mal an, dass das Teufelsmoor lange ein weißer Fleck auf der Karte war.
Wir haben oben einen griechischen (na ja, mazedonischen) Helden angesprochen, der mit dem Schwert den gordischen Knoten durchschlagen haben soll, gemeint ist Alexander der Große. Ein anderes berühmtes Schwert ist das des Damokles, das am seidenen Faden über Richtern hing. Ein Kollege sagte einmal, als wir eine unangenehme Arbeit nicht ausführen mussten, dass dieses „Schwert des Damokles ja noch einmal an uns vorbeigegangen“ sei. Das Schwert hatte also Beine bekommen. Ein „Kelch“ hätte es auch getan, solange er an uns vorbeigeht und wir ihn nicht auch noch bis zur Neige austrinken müssen.
Im Gespräch passieren solche Ausrutscher ganz leicht. Ein Bekannter empfahl mir ein Lokal, das gut besucht ist. „Da brummt der Bär.“ Höchstwahrscheinlich tanzt und steppt er da auch. Ein anderes Lokal wurde in einer gedruckten Werbung gelobt, weil der neue Küchenchef schon in anderen Top-Häusern „federführend den Kochlöffel geschwungen“ habe. Ist ja sachlich nicht falsch, aber hoffentlich muss man sich nach einem so schwungvoll angerichteten Essen nicht mit einer Feder erleichtern.
Zu guter Letzt möchte ich den Leser noch „hinter die Fichte führen“, also in den Wald, welcher „Der größte Schatz der Deutschen“ sei: „Ha!, frohlockt Altförster Hermann-Josef Rapp, der Exkursionsleiter mit der Stimme, die Espenlaub erzittern lässt. Was für ein Schatz!“ Hoffentlich hat ihn der Stern-Reporter Rolf-Herbert P. überhaupt verstanden, denn Espenlaub (Pappellaub) zittert sprichwörtlich ganz erbärmlich, schon bei dem leisesten Windhauch.